Rede von Horst Schäfer zur Wiederaufstellung des „Waldgeisterstammes“

Rede von Horst Schäfer zur Wiederaufstellung des „Waldgeisterstammes“ von Valeri Gourski
vor dem Rathaus Dietzenbach am Mittwoch, dem 27.Mai 2015

 

Sehr geehrte Amts- und Mandatsträger,
sehr geehrte Vertreter der Vereine und der Presse,
sehr geehrte Sponsoren,
liebe Freunde von Valeri Gourski,
liebe Freunde der Kunst und der Völkerverständigung,
liebe Gäste,

ich freue mich außerordentlich, dass mein mehrjähriges Bemühen, die Erinnerung an den ukrainisch-stämmigen Künstler Valeri Gourski in Dietzenbach wach zu halten, heute wieder erfolgreich ist. Dabei kann Ihnen Valeri Gourski hier in Dietzenbach fast täglich öffentlich begegnen, wenn Sie z.B. am Blumenbeetdrachen an der SG-Kreuzung oder am ÄskulapStamm vor der röntgenologischen Arztpraxis vorbeikommen, oder im Bildungshaus vor seinem Gemälde von der Rathenaustrasse stehen oder im Nebenraum der Ratsstube sein Gemälde vom Bürgerhaus anschauen. Holzskulpturen stehen daneben im Schwimmbad in Neu-Isenburg, im Kunstgarten des Arztes Dr.Cappel in der Offenbacher Körnerstrasse, in der Aula des Amtsgerichts Frankenberg an der Eder und im alten Rathaus der Koveler Partnerstadt Barsinghausen. Valeri Gourski hat außerdem in Kiew, München-Pasing und in Mainz Kinderspielplätze gestaltet.

Sie alle können die tragischen Biographien dieses Künstlers und seiner Familie im Internet auf seiner – von mir zusammengestellten und vom Stadtverordneten Cengiz Hendek unterhaltenen und gestifteten – Homepage www.valeri-gourski.de nachlesen. Sie finden sie dort unter den autobiografischen Texten unter dem Titel „Niederschrift zu seinem Asylbegehren“. Sie endet dort allerdings 1992, weil er 1992 vom Bundesamt angehört worden war.
Ich will sie hier – auch über 1992 hinausgehend – wenigstens fragmentarisch nacherzählen.

Wer war Valeri Gourski?
Er stammt aus einer evangelischen Priesterfamilie in der Ukraine und wuchs in dem – für
Individuum und Kunst – höchst repressiven Klima der ehemaligen Sowjetunion auf. 1972
schloß er eine Lehre als Holzbildhauer ab und wurde anschließend wegen – religiös
begründeter – Wehrdienstverweigerung zum Bau des Atomkraftwerkes Kursk nahe der
russisch-ukrainischen Grenze abkommandiert. Zur gleichen Zeit wurde der gleiche
Kernkraftwerkstyp nahe der ukrainisch-weißrussischen Grenze in Tschernobyl gebaut, der gut
zehn Jahre später (am 26.April 1986) explodieren sollte. Die schrecklichen Folgen spüren
selbst nachgeborene Generationen noch heute.
Dörte Siedentopf und der Freundeskreis Kostjukowitschi e.V. haben sich dankenswerterweise
dieses Themas hier in Dietzenbach seit 2 Jahrzehnten sehr engagiert angenommen. Dieses
Ereignis hatte auch Valeri Gourski in einem Bild mit dem Titel „Tschernobyl“ verarbeitet.
Manche von Ihnen kennen dieses großformatige Gemälde mit den vielen fliehenden
Menschen.

Valeri Gourski arbeitete dann in der ukrainischen Sowjet-Union als Holzbildhauer, als
Kunstschnitzer, als Lehrer an der Berufsfachschule Kovel, schaffte Skulpturen und Gemälde.
Er gründete die expressionistische Künstlergruppe „WER“, stellte Gemälde in Kiew und
Moskau aus und nahm an Konferenzen avantgardistischer nonkonformistischer Künstler in
Moskau teil.

Er stammte aus einer Pfingstler-Familie, schloß 1985 seine langjährige Predigerlaufbahn aber
mit der Weihe zum Priester der orthodox-christlichen Katakombenkirche ab. Die PfingstlerGemeinde
war ihm viel zu engstirnig. Er wurde auch aktives Mitglied der nationalukrainischen
Bewegung Taras Schewtschenko, die sich für die Bewahrung und Zulassung der
ukrainischen Sprache einsetzt.

Mit diesen Einstellungen setzte er sich in krassen Gegensatz
– zu den – von der sowjetischen Staatsideologie alleine geduldeten – Theorien von
Atheismus, von sozialistischem politpropagandistischem Kunst-Realismus, vom
sowjetischen Einheitsstaat mit einheitlicher russischer Sprache,
– und in Opposition zu staatssystemtragenden Popen.
Alleine das Verlangen nach künstlerischer Freiheit, verstanden als Unabhängigkeit der Kunst
von der Staatsideologie und als Widerstand gegen willfähriges, nur plakatives
ideologiestützendes Dekorationskunst-Verständnis, hat noch immer und überall ausgereicht,
um von totalitären und autoritären Regimen als subversiv verdächtigt, diskriminiert und
bekämpft zu werden.

Valeri Gourski hatte in der UdSSR keinerlei Lebens- und Kunstentwicklungsperspektive
mehr. Deshalb verließ er 1990 seine Heimat und gelangte auf abenteuerlichen Wegen durch
das noch kommunistische Ost-Europa im November 1990 nach München. Dort wurde er – am
24.November 1990 – drei Wochen nach seiner Einreise beim Malen auf dem Münchner
Karlsplatz von der Polizei festgenommen und drei Wochen lang in Abschiebehaft genommen.
Endlich den totalitären Restriktionen und Repressionen entkommen und mit großen
Hoffnungen und Sehnsüchten im sog. „Freien Westen“ angekommen, wurde er auch hier
sofort festgenommen und eingesperrt. Er hatte darauf in der Haft mit einem Hungerstreik
reagiert.

Er betrieb daraufhin in Bayern ein Asylverfahren und wurde vom Bundesamt anerkannt. Auf
Rechtsmittel des – alleine politische Interessen vertretenden – Bundesbeauftragten für
Asylangelegenheiten – wurde sein Asylgesuch von bayrischen Verwaltungsgerichten nach 4 ½
Jahren letztlich abgelehnt. Ihm drohte im Frühjahr 1995 in München die Abschiebung in die
Ukraine. Das war für ihn eine Horrorvorstellung, weil er mit den kommunistischen
Geheimdiensten nur Repressionserfahrungen gemacht hatte und diese Kader natürlich auch
im neuen selbständigen Staat Ukraine noch im Amt waren. Das hatte auch das Auswärtige
Amt damals so gesehen. Sie können auch dies auf der Homepage nachlesen. Diese Erkenntnis
war von den bayrischen Verwaltungsrichtern aber ignoriert worden.

In dieser Zeit – im Frühjahr 1995 also – las ich in der „Süddeutschen Zeitung“ von seiner
letzten Ausstellung im DGB-Haus in München. Danach sollte er abgeschoben werden. Ich lud
den mir damals völlig unbekannten Künstler zu einer Kunstausstellung in die von mir
geleitete Galerie im Verwaltungsgericht Wiesbaden und zu einem Besuch in Dietzenbach ein.
So kam er im April/Mai 1995 nach Dietzenbach und errang hier mit Leichtigkeit schnell einen
Freundeskreis. Zu dem zählten in der Anfangszeit neben mir u.a. Helmut und Jelena Hild, die
Familie Peter und Irlis Gussmann, der Sägewerksbesitzer Günter Knecht und seine Ehefrau
Irene, Richard Weilmünster und Renate Lehr, Dörte und Hans-Georg Siedentopf, Dieter und
Margot Engelhardt, Erich und Dorothee Neuhauser, Gisela Kiess, und viele weitere. Peter
Gussmann und ich stritten in einem mehrjährigen aufwendigen Verwaltungsverfahren
erfolgreich für eine Aufenthaltserlaubnis als Künstler. Damit war dann wenigstens seine
dauerhafte Abschiebungsangst etwas ruhig gestellt.

Peter Gussmann förderte Valeri Gourskis Holzschnitzkunst in Dietzenbach in besonderer
Weise. Er machte ihn noch im Mai 1995 mit dem Sägewerksbesitzer Günter Knecht bekannt.
Dort in der Rathenaustrasse durfte Valeri Gourski vorübergehend wohnen und nach
Herzenslust schnitzen. Günter Knecht hatte einen riesigen Eichenstamm besorgt und an dem
begann Valeri Gourski noch in der Rathenaustrasse zu schnitzen. Günter Knecht transportierte
den Stamm dann auf eine Freifläche neben dem Waldschwimmbad. Und dort schnitzte der
Künstler unermüdlich an diesem Stamm. Fast täglich fuhren seine Freunde hinaus zum
Waldschwimmbad um den Schnitzfortschritt zu dokumentieren. In wenigen Wochen war die
Figur zu Ende geschnitzt. Und er nannte ihn „Waldgeisterstamm“, weil er dort am Waldrand
in einem Wohnwagen wohnte und seine künstlerische Phantasie von Fauna und Flora des
Waldes leiten ließ. Aber auch die Gussmannsche Hauskatze wurde in dem Stamm verewigt.
Sie lebt heute nur noch in diesem Holzrelief weiter.

Die Stadt Dietzenbach kaufte letztlich den Waldgeisterstamm und ließ ihn am 27.Juni 1995
vor dem Rathaus aufstellen.

Der ca. 8 Meter hohe Waldgeisterstamm war 2008 aus technischen Sicherheitsgründen
abgesägt worden und – wie ich erst etwa 2011 von Bürgermeister Jürgen Rogg erfuhr – auf
dem Gartenamtsgrundstück an der oberen Grenzstrasse im Freien abgelegt und notdürftig
abgedeckt worden. Ich habe zunächst dafür gesorgt, dass der Stamm in der dortigen Halle
wenigstens unter Dach gelagert wird. Und – zusammen mit dem palästinesischen Migranten
Farid Al Khateb – habe ich diesen Stamm im Sommer 2012 zwei Tage lang persönlich mit
Holzschutzfarbe angestrichen, um ihn vor dem Verfall zu retten.

Valeri Gourski streifte nach seiner Ankunft in Dietzenbach mit Zeichenblock und Zeichenstift
durch die Stadt und brachte eindringliche Kohlezeichnungen zu Papier. Eine dieser
Zeichnungen diente ihm als Vorbild für ein großformatiges Gemälde, welches der
gemeinnützige Verein „Zusammenleben der Kulturen in Dietzenbach“ ankaufte. Es ist auf
dessen Homepage zu sehen.

Und Valeri Gourski dichtete im Herbst 1995 autobiographisch und sibyllinisch an
Dietzenbach, wo er sich scheinbar angenommen und frei fühlte:
„Mein Freund , glaub’ mir.
Ich habe ein Wunder gesehen.
Und in Dietzenbach, damals,
Im Herbst, ganz tief.
Ich bin zum Malen hingefahren.
Heiße Blätter, kalter Abend,
und uraltes Haus.
Ich bin in dich verliebt, damals,
Mein Dietzenbach,
Fremder, ich weiß nicht,
ob es für immer da ist.
Aber du bist meins geworden.“

Die Übersetzung stammt von der russischen Journalistin Olga Fefer aus Mainz.

Seine Skepsis zu einem dauerhaften unbelasteten Aufenthalt in Dietzenbach sollte sich
bestätigen. 1995 kam er von Bayern nach Hessen und machte auch hier
Repressionserfahrungen. In Dietzenbach versuchten Künstler im Sommer 1995, ihn von
einem – von ihnen veranstalteten – Künstlerfest auf dem Rathausvorplatz zu vertreiben.
Vorwurf: Malen und Portraitieren während dieses Künstlerfestes. Das Motto jenes Künstlerfestes lautete damals „Kunst ohne Grenzen“. Besonders hervorgetan hatte sich damals der Künstler Dieter Lokai.

1999 wurde Valeri Gourski von seinem Wohnwagen-Domizil am Dietzenbacher
Waldschwimmbad mit bauaufsichtsbehördlichem Räumungsbescheid und einer brennenden
Benzinflasche unter seinem Pkw vertrieben. Alpträume eines UdSSR-Flüchtlings! Fast
resignierend stellte er damals fest: „Ich bin überall nur Gast.“

Daraufhin verließ er Dietzenbach und siedelte – auch meines beruflichen Dienstsitzes wegen –
nach Wiesbaden über. In Wiesbaden wurde alljährlich während der Theatrion- und
Wilhelmstraßen-Feste versucht, ihn dort am Malen zu hindern. Das Wiesbadener
Ordnungsamt war jahraus jahrein hinter ihm her wegen unerlaubter Nutzung öffentlicher
Räume, Flächen und Gehwege zum alleinigen Zwecke des Malens.

Seine hochbetagte und schwerkranke Mutter verlangte ab 2005 nach ihrem einzigen Sohn
Valeri, den sie schon über 15 Jahre lang nicht mehr gesehen hatte. Ich führte einen 1-jährigen
Verfahrenskampf mit der hiesigen Ausländerbehörde, bis ich eine – auf 3 Monate befristete –
Ausreise- und Wiedereinreiseerlaubnis erlangt hatte. Damit fuhr er im September 2006 zu
seiner Mutter und seinen Schwestern in die Ukraine. Seine Lebenstragödie erreichte ihren
Höhepunkt. Es kam wie von ihm befürchtet. Er geriet in die Fänge des postkommunistischen
Geheimdienstes. Auf der Rückreise nach Deutschland verunglückte er bei einem
Verkehrsunfall am 13.Dezember 2006 in Süd-Polen tödlich. Die deutsche Botschaft teilte mir
damals mit, dass ich wohl große Schwierigkeiten bekäme, wenn ich den Verdacht äußern
würde, er sei eines unnatürlichen Todes gestorben. Die Botschaft sollte Recht behalten.
Alleine die Zeit heute reicht nicht aus, um meine vielfältigen Erkenntnisse zum Beleg meiner
These zum Tod von Valeri Gourski darzulegen.

Was bleibt von Valeri Gourski?
Seine Kunstsicht folgte immer nach einem Leben aus dem proletarischen Erleben, und Kunst
war für ihn gewissermaßen ein Gottesdienst. Es verwundert angesichts seines Priesterberufes
nicht, daß für ihn die Kunst aus dem Religiösen nicht ausgezogen ist. Künstlerische
Darstellung ohne Beziehung zu Gott bedeutete ihm Sinnlosigkeit. Valeri Gourski verstand
daher seine Kunst als Gebet zu Gott, als Schaffen zur Aufrüttelung und Aufrichtung der
Menschen und zur Freude Gottes. Besonders gut kann man das in seinem (einzigen)
kunsttheoretischen Text nachlesen mit dem Titel „Überlegungen zum Geistigen in der Kunst“,
den er 1995 geschrieben hatte. Dieser Text steht ebenfalls auf seiner Homepage www.valerigourski.de.

„Kunst wird die Welt mehr verändern als die Politik,“ plauderte im April 1998 der weltweit
angesehene Schriftsteller und damalige tschechische Staatspräsident Václav Havel in einem
Zeitungsinterview aus seiner Lebenserfahrung. Diese Prognose hat Sprengkraft. Das wusste
auch Valeri Gourski.

Ich danke sehr den Spendern, die die Wiedererrichtung des Waldgeisterstammes ermöglicht
haben, allen voran Wilfried Nürnberger, der den Dietzenbacher Künstlerkreis, die Sparkasse
Langen-Seligenstadt und die Volksbank Dreieich zu Spenden angeregt hat. Ich danke aber
ebenso sehr Irlis und Ola Gussmann, Frau Gisela Kiess, Herrn Herbert Wagner, Herrn Jürgen
Rogg und Herrn Dietmar Kolmer und dem gemeinnützigen Verein „Für Dietzenbach“ für ihre
finanziellen Unterstützungen sowie dem gemeinnützigen Verein „Zusammenleben der
Kulturen in Dietzenbach“ für die Spendenbuchungshilfen. Ohne diese Spenden und Hilfen
hätte diese städtische Skulptur hier heute nicht wiedererrichtet werden können. Sie würde auf
dem Gartenamtsplatz an der oberen Grenzstrasse weiter verrotten. Und ich muß auch
Charlotte Rothman dafür danken, dass sie die kunst-engagierte Schlosserfamilie Stamm aus
Frankfurt a.M. vermittelt hat. Letztlich Dank auch an Frau Breuksch vom Stadtbauamt für das
Besorgen der bauordnungsrechtlichen Voraussetzungen für die Wiedererrichtung., und auch
Herrn Finder von der Tischlerei, der schon an der Erstaufstellung des Stammes vor 20 Jahren
aktiv mitgewirkt hatte.

Die Gefährten und Freunde Valeri Gourski’s sind ihm zu Dank verpflichtet für das
aufopfernde, kämpferische, streitbare Sinnstiften der Kunst in unserer Gesellschaft und für
sein völkerverbindendes Wirken. Wir wünschen ihm – wenigstens posthum – endlich
diejenige öffentliche gesellschaftliche Anerkennung und künstlerische Wertschätzung, die er
in der Fachwelt und in unseren Köpfen und Herzen schon lange gefunden hat. Mögen Valeri
Gourskis Waldgeister noch lange von hier ins Rathaus ins Rathaus schauen, und möge diese
Waldhexe mit ihrem Besen gelegentlich im Rathaus kehren und für – auch politische –
Reinlichkeit sorgen.