Erinnerungen der Journalistin Wiebke Rannenberg an Valeri Gourski,
niedergeschrieben am 13.Dezember 2007:
„Herr Gourski, erzählen Sie nur, was da in der Meldung steht. Sie sollen nichts dazu erfinden.“ Das habe ich häufig gesagt im Mai und Juni 2004, als Valeri Gourski in meinem Kurs war für Menschen, die sich einbürgern lassen wollten. Fünf Montag-Abende saßen wir zu sechst im Dietzenbacher Ausländerzentrum, lasen Zeitungsartikel, klärten Vokabeln und fassten die Meldungen schließlich zusammen. Denn das sollten die Teilnehmer auch während der Deutschprüfung im Dietzenbacher Rathaus tun. Die Idee zu diesem Vorbereitungskurs hatte Gisela Mauer gehabt, damals noch Geschäftsführerin des Ausländerbeirats.
Der Künstler Valeri Gourski gab sich aber mit einer schlichten Inhaltsangabe nicht zufrieden. Wenn da stand, daß zwei Männer eine Kellnerin in einem Lokal in der Bahnhofstraße mit einem Springmesser bedroht und ausgeraubt hatten, war ihm das nicht plastisch genug. Er machte daraus einen Kurzkrimi, schilderte seinen Mitschülerinnen und Mitschülern den Dialog zwischen Räubern und Kellnerin – gestenreich und sprachkreativ, wenn ihm mal ein Wort fehlte.
Er saß von mir aus gesehen immer rechts hinten am Tisch, neben ihm ein Iraner, der ihn manchmal erstaunt ansah. Als Zuhörerin genoß ich seine Geschichten – als Lehrerin machte ich mir doch etwas Sorgen, ob die Prüferinnen im Rathaus die Phantasie Valeri Gourski’s würdigen würden. Das weiß ich leider immer noch nicht, aber bestanden hat e die Deutschprüfung.
Aber auch sonst hatte Valeri Gourski große Überzeugungskraft. Immerhin hat er es geschafft, mir ein Gemälde von sich zu verkaufen. Ich sehe uns noch abends um 10 unter einer Straßenlaterne auf der Darmstädter Straße vor seinem Bus stehen: Ein Bild nach dem anderen holte er aus dem Wagen und erzählte einiges dazu, an das ich mich nicht mehr genau erinnern kann. Zunächst war ich auch nicht wirklich überzeugt, daß ich ein Bild kaufen wollte, hatte ich doch die Wände meiner Wohnung vor Augen, die schon voller Bilder hingen. Doch dann gefiel mir eines doch so gut, daß ich es gekauft habe – auch deshalb, weil es mich an meine Zeit erinnerte, als ich für die Frankfurter Rundschau über Dietzenbach berichtet hatte. Denn es zeigt, flach und 80 Zentimeter breit, in dunklen Rosa- und Grüntönen, den TOOM-Markt mit Autos davor und den Hochhäusern im Spessartviertel dahinter. Gebäude, über die ich viel geschrieben habe.
Eingeladen in seinen Wohnwagen zu sich hat er mich auch, gerade habe ich auf der Teilnehmerliste seine Lagezeichnung gefunden. Ob ich damit den Platz zwischen Wiesbaden und Bad Schwalbach wirklich gefunden hätte, weiß ich nicht. Leider habe ich es nicht versucht.
Diese Abende im Mai 2004 waren mein erster Zeitungslesekurs. Aber in lebendiger Erinnerung geblieben ist der Kurs mir nicht wegen der Premiere – sondern hauptsächlich wegen Valeri Gourski.