Überlegungen zum Geistigen in der Kunst
von Valeri Gourski
Aus dem Zusammenwirken von Gut und Böse entsteht die Materie. Fällt sie auseinander, werden das Gute und das Böse freigesetzt, voneinander getrennt, um in ihren früheren Zustand zurückzukehren, die Welt der Ruhe. Da sich in der Materie Gut und Böse nicht gleichmäßig zueinander verhalten, ist die Wirklichkeit entweder göttlich oder dämonisch.
Die Kunst, das sind Ränkespiele des menschlichen Geistes, auf seelischem wie körperlichem Gebiet.
Ich unterscheide zwischen der geistigen (abstrakten), seelischen (expressiven) und fleischlichen (darstellenden) Kunst. Alle drei Arten der Kunst können göttlich oder dämonisch sein. Dieses wird realisiert: Im Abstrakten – durch Symbolik (Art der Linienführung, Farbe, Licht-Schatten-Spiel), im Expressiven – durch Emotionszustand, im Realistischen – durch das Dargestellte, durch den Körper. Daher nähert sich der Künstler, der sich mit dem Geistigen in der Kunst befasst, je nach Stärke und Ausrichtung der Ekstase, entweder Gott oder einem Dämon. Im ersten Fall macht er Fortschritte im Verständnis des Guten, im zweiten Fall kommt es zur Degradierung und Selbstvernichtung.
Für geistige, künstlerische Vervollkommnung ist es notwendig, sich in Mystik zu üben, wonach das geistige Leben eines Künstlers wie auch eines Gläubigen verlangt.
Die Seele singt, sie freut sich im Angesicht der Naturschönheit. Dies ist ebenfalls ein Gebet: Wir sehen das von Gott geschaffene Bild. Um eine noch größere Ekstase zu erfahren – nicht nur seelisch sondern auch geistig – ist es notwendig, das bereits Gezeichnete so zu verändern – entsprechend dem Zustand, den wir augenblicklich erleben -, daß die Vorahnung des Gesehenen gegenwärtig bleibt. Auf diese Weise wird das Gefühl vermittelt, das Wesen des Dargestellten, seinen Geist zu erfassen.
Unsere Anstrengungen, das Wesen der Beziehung zwischen dem Materiellen und dem Geistigen zu klären, können allerdings nur bis zu einem gewissen Grad erfolgreich sein. Denn man kann unmöglich den Bereich des Geistigen durch logisches Denken endgültig begreifen, da dieses sich auf eine begrenzte Zahl oft falscher Informationen stützt. Auch Gefühle und Vorahnungen reichen dazu nicht aus.
Für das weitere Fortkommen auf dem geistig-künstlerischen Weg ist es also notwendig, die Grenzen der Materie zu überschreiten: Die Ekstase und das Gebet sind unentbehrlich. Natürlich widerspricht dies in gewissem Maße den festgelegten Normen des menschlichen Lebens und kann als wahnsinnig bezeichnet werden.
Der Begriff Wahnsinn, Sinnlosigkeit bedeutet einen Zustand ohne Sinn, ohne Gedanken – ein Chaos.
Die Größe der Kunst hängt nicht allein vom abstrakten bzw. bildlichen Denken ab, sondern auch vom Grad seiner Beziehung zum Ewigen.
Dies ist die Position bzw. Opposition des Künstlers gegenüber seiner Umgebung, sein innerer Kampf. Doch Thema und Art der Ausdrucksmittel (Stil der Darstellung) sind wieder etwas anderes.
Ekstase, die weder ein Thema noch eine Ausdrucksmethode enthalten muß, ist keine Installation, keine Aktion, kein Wort, keine Bewegung, kein Schrei, kein Gesang, kein Tanz. Vielmehr bedeutet Ekstase in ihrer reinsten Form Schweigen. Zuerst war das Schweigen, Chaos ohne Tun, danach Bewegung, schließlich Ton, Ausdruck bis zum Erscheinen der Darstellung.
Die Darstellung von Phänomenen wie Laut, Geruch u.ä. repräsentiert bereits eine materielle Erscheinung (Linie, Farbe, Raum). Reine Abstraktion lässt sich nicht durch Materielles (Linie, Farbe, Laut, Geruch, Licht, Bewegung) zum Ausdruck bringen.
Die astrale, geistige Welt liegt über der sinnlichen. Wir leben nur gezwungenermaßen in der dargestellten, illusorischen Welt. Weisheit besteht darin, sich dieser Welt nicht zu unterwerfen, sondern sie zu beherrschen.
Das Phänomen des unterbewussten Zeichnens/Malens.
Die Hand zeichnet/malt. Der Verstand schlummert. Von außen dringen Geräusche heran. Je nachdem, welche energetische Information durch den schlummernden Verstand in die menschliche Seele drängt, bzw. je nachdem, was in dem Menschen entsteht, der von entsprechenden Gefühlen beherrscht wird, zeichnet die Hand.
Es gibt lautliche und darstellende Symbolik des Abstrakten (Laut, Linie, Farbe, Hell-Dunkel). Sie kann ein Bild erschaffen bzw. es verändern. Doch diese Phänomene, jedes für sich, sind auch Darstellungen in sich, auch wenn sie sich chaotisch zueinander verhalten. Vielmehr assoziieren Menschen mit darstellerisch ausgerichteter Denkweise irgendwelche Bilder damit. Bei Menschen mit abstraktem Denkvermögen rufen sie Gefühle hervor, die im Zusammenhang mit erlebten Situationen und Bildern stehen. Demgemäß werden solche Menschen das abstrakte Kunst nennen, was nicht den Kern des Problems trifft.
In der materiellen Welt gibt es keine reine, das heißt sterile Abstraktion. Es gibt auch keine reine Gottheit, keine Dämonie, kein reines Gutes oder Böses. Bei all diesen Wesenheiten handelt es sich um eine Lösung, die die Materie festigt und bindet. Wenn man diese vernichtet, vernichtet man die Materie, also Zeit, Bewegung, Leben und Tod, da diese materielle Prozesse darstellen. Indem die materielle Darstellung für die Befreiung des Geistes vernichtet wird, kann der Prozeß des Seelen- und Gefühlszerfalls einsetzen, da die Seele den Geist mit dem Körper verbindet.
Das Wesen des Abstrakten schafft eine Darstellung seiner selbst. Die Wahrheitsfindung wird durch die Ekstase ermöglicht. Die Assoziation angenehmer Empfindungen verführt zu Wiederholungen, und darin steckt die Gefahr emotionalen Genusses, einer Illusion. Angenehme Empfindungen suggerieren das Vorhandensein von Wahrheit. Darin besteht ein Irrtum. Allerdings ist dieser Glaube schon der richtige Weg zur Wahrheitsfindung. Daher möchte dieser Künstler diese sofort mit technischen Mitteln darstellen. Indem wir uns jedoch unsere Empfindungen analytisch bewußt machen, oder auch in der Literatur, in darstellender Kunst, in Musik und Tanz, töten wir sie und entfernen uns von der Wahrheit. Wir erschaffen Gesetze, Etiketten, bleiben stehen bei der Wahrheitsfindung und ihrer Empfindung. Es kommt zum geistigen Tod.
Das „richtige“ logische Denken entsteht, die „richtige“ klassische Kunst, Religion, Politik. Doch dies ist kein Prozeß, sondern eine Degradierung der Wahrheit, also Betrug und Illusion. Eine solche Degradierung der Kunst führt zwangsläufig zu Enttäuschungen.
Der trügerische Zustand besteht erstens darin, daß der Mensch durch die zu sehenden Phänomene angelockt wird. Zweitens äußert er sich in gefühlsmäßigem Vergnügen, Geldgier, Verehrung von Gegenständen, den Preis von Kunstgegenständen, Eitelkeit, Servilismus gegenüber den Vorgesetzten usw. Auf der Jagd nach solchen „Werten“ gerät der Mensch ständig in Versuchung, und da er sich nicht allein in dieser Lage befindet, entstehen falsche Sozialgesetze, nach denen die Gesellschaft lebt. Um diese wäre es endgültig geschehen, angesichts der falschen Werte würde sie verfaulen, wenn nicht die höheren Gesetze Gottes wären, die im menschlichen Gewissen verankert sind (z.B. das uralte Gesetz von der Erkenntnis des Guten und Bösen), aber auch in Religion und Kunst. „Ihr seid das Salz der Erde“ – sind die Worte Jesu Christi.
Es sind die Gesetze Gottes, die zu den Gesetzen des menschlichen Geistes geworden sind. Die materiellen Werte, die wir fleischlich nennen, stehen in einer Auseinandersetzung auf verschiedenen Ebenen mit den geistigen Werten, sowohl in der Religion als auch in der Kunst (Worte des Apostels Paulus im Brief an die Galater, Kap.5,17). Das Leben in einer solchen Gesellschaft fällt dem Künstler deshalb schwer, weil er für den Erhalt seiner geistigen Freiheit gegen die Gesellschaft auftreten muß. Diese versteht seinen Auftrag aber oft nicht und bekämpft den Künstler. Indem er sich den Anforderungen seiner Umgebung unterwirft, geht ihm sein freies Schaffen abhanden, seine Gedanken und Gefühle gelten den bürokratischen Gesetzen, der Firma, den Steuern, den Strafen, und wie alle erkrankt auch er an Geldgier. Er beginnt Geld zu produzieren, und die Gesellschaft sieht ihn nicht mehr als Propheten sondern als einen Handwerker; sie achtet ihn wegen seiner Einkünfte, wegen des Preises seiner Werke, die ihren geistigen Wert bereits eingebüßt haben.
Notwendig sind Freiheit und Unabhängigkeit. Sie zu erreichen erfordert aber einen Weg des Kampfes, der Askese, der Gefahr, für einen Narren gehalten zu werden. Der Künstler ist unabhängig in Bezug auf alle bürokratischen Gesetze der Gesellschaft, er lebt nach den Gesetzen seines Gewissens, das seine eigenen ewigen Gotteswerte besitzt.
Der Künstler ist Prophet im Bereich der Kunst. Jeder Künstler soll seinen individuellen, freien asketischen Entwicklungsweg gehen. Denn auf dem Weg vom Chaos zur Freiheit offenbart sich ihm eine neue geistige Existenz, die ihrerseits neue Bilder zur Beglückung der Menschen mit konkretem – wie für diejenigen mit abstraktem – Denken erschafft.
Der Künstler ist gezwungen, die Gesellschaft zu meiden. Ebenso erging es den Propheten. Um sich nicht dem energetischen Einfluß der Gesellschaft zu unterwerfen, pflegten sie Askese, bekämpften ihre Begierde, indem sie fasteten. Ein Künstler mit einer nicht konsequent betriebenen geistigen Entwicklung unterlegt leicht anderen Menschen und wird zum „Pharisäer“, d.h. seine geistige Energie richtet sich vor allem nicht auf Gott sondern auf seine Umgebung, die ihn geistig versklavt, oder er zeigt Stolz, Eitelkeit, Haß bis zur völligen Degradierung.
Es gibt daneben noch zwei weitere krankhafte Erscheinungen, die von der Unmöglichkeit herrühren, sich der Gesellschaft zu widersetzen: Erstens Verachtung und Haß gegenüber den Menschen, Verlust des Gespürs für allgemein menschliche Ethik, Kultur oder Achtung des Nächsten, aber auch Geringschätzung von dessen Kritik. Zweitens – aus falsch verstandener Sanftmut bzw. eigenwilliger Demut entwickeln sich entweder Minderwertigkeitskomplexe, Gehemmtheit und Ängstlichkeit, oder aber Heuchelei und Hinterlist.
Die obengenannten geistigen Erkrankungen macht sich der Dämon zunutze, indem er eine dämonische Atmosphäre in der Gesellschaft schafft. Er lässt den Künstler den Gesetzen und Süchten dieser Gesellschaft verfallen. Die Ursache dafür liegt darin, daß der Künstler nicht imstande ist, sich einer solchen Gesellschaft zu widersetzen. Er schreitet nicht auf dem Weg der individuellen geistigen Entwicklung zu Gott, sondern verwendet seine Energie der Gesellschaft zuliebe, von der er materiell abhängt.
Um ein Bild zu zeichnen/malen, muß man nicht unbedingt das zeichnen/malen, was man sieht. Es reicht aus das zu zeichnen, was man ahnt, wie schon Wassily Kandinsky sagte. Man ahnt voraus, daß es so etwas geben kann.
Im frühen Frühling gehe ich eine schmutzige Dorfstraße entlang. Überall liegen große Pfützen. Die Sonne leuchtet hell. Die Luft ist noch kühl. Aus den Pfützen erheben sich grelle, goldene Lichtreflexe. Die Erde ist rosa. Es ist ein früher Abend. Am Wegrand stehen große alte Pappeln, die noch nicht blühen. Ich gehe langsam und versuche, meine Schuhe nicht schmutzig zu machen, ich überspringe die Pfützen. In meinen Augen Sonnenreflexe. Von diesen Reflexen und von der frischen Luft überkommt mich eine festliche Stimmung, es ist wie eine Feier. Irgendwo in der Nähe höre ich Kinder spielen. Die Spatzen zwitschern. Diese Welt möchte ich malen. Dies ist die Stimmung meiner Seele. Ich male. Man kann es impressionistisch tun, wenn ich nur das wiedergebe, was ich sehe und spüre, was von außen kommt. Es sind Lichtreflexe. Doch ich möchte auch meinen Zustand wiedergeben. So male ich expressionistisch. Ich gebe meine Freude wieder. Das Gesehene ist mir nicht wichtig. Die Hauptsache ist Luft, Sonne. Licht, Geruch, Musik der Kinder und der Vögel und mein innerer Zustand. Ich male abstrakt. Ich male eine göttliche Harmonie aus Licht, Farbe, Duft und Musik.