Dokument 1 aus der I.u.D.-Stelle des Verwaltungsgerichts Wiesbaden:
Schreiben des deutschsprachigen Begleiters N.N. vom 20.Juli 1995 an den Münchener Rechtsanwalt von Valéri Gourski über einen gemeinsamen Besuch des ukrainischen Konsulates in München am 13.Juli 1995:
Sehr geehrter Herr Rechtsanwalt,
ich erachte es für das weitere Verfahren von Herrn Gourski für wichtig, Ihnen meine Eindrücke beim Besuch des ukrainischen Konsulats zum Zwecke des Erhalts eines ukrainischen Reisepasses mitzuteilen.
Der ukrainische Asylsuchende Valeri Gourski hatte zum Ablauf der Ausreisefrist nach insgesamt 5 Jahren Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland seinen alten sowjetischen Reisepaß zurückerhalten. Der Reisepaß war abgelaufen und mußte daher erneuert bzw. verlängert werden. Da Herr Gourski als Künstler eine Einladung nach Paris erhalten hatte, verfolgte er die Möglichkeit, als Künstler weiteren Aufenthalt in Frankreich genehmigt zu bekommen. Voraussetzung ist ein gültiger Reisepaß.
Da Herr Gourski große Ängste in Bezug auf das Verhalten des ukrainischen Konsulats hat, bot ich ihm meine Begleitung an. Da diese Aktion immerhin mit einer Reise von Frankfurt nach München und zurück verbunden war, erkundigte ich mich vorab bei mehreren Stellen, unter anderem im Büro der Ausländerbeauftragten der Bundesregierung, nach den Erfolgsaussichten. Niemand konnte sich Probleme vorstellen, sodaß ich den Verdacht hegte, daß Herr Gourski nur von irrationalen Ängsten beherrscht wurde, die ich durch meine persönliche Anwesenheit unwirksam machen könnte.
Am 13.Juli 1995 betraten wir gemeinsam das ukrainische Konsulat in München. Herr Gourski war dort bei einem Besuch in der vorhergehenden Woche in Aussicht gestellt worden, er könne in dieser Woche mit dem Konsul oder Vizekonsul sprechen. Herr Gourski sprach einen zufällig vor der Tür stehenden Mitarbeiter des Konsulats darauf an und wurde beschieden, er müsse nächste Woche wieder kommen. So blieb uns als einzige Möglichkeit der für „normale“ Besucher vorgesehene Weg.
Vor uns waren etwa 20 andere Besucher, die sich bereits angestellt hatten. Der einzige – für Besucher vorgesehene – Raum ist ca. 20 qm groß und enthält einen Tisch und etwa 20 Stühle. An der Schmalseite ist eine dicke Glasscheibe, wahrscheinlich aus Panzerglas. Links daneben hängt ein Telefonhörer an der Wand. Gespräche mit dem Konsulatsangestellten waren nur per Telefon möglich.
Als wir an der Reihe waren, stellte ich mich vor und teilte mit, daß ich Herrn Gourski begleite, um einerseits bei etwaigen Missverständnissen aushelfen zu können und andererseits, um interessierten deutschen Stellen über den Ablauf berichten zu können. Der Mitarbeiter des Konsulats – wir hatten nur mit ihm Kontakt, außer ihm war noch eine Frau zu sehen – ersuchte darum, „mit dem ukrainischen Staatsbürger sprechen zu können“. Das dauerte etwa 2 Minuten. Herr Gourski legte dabei seinen abgelaufenen Reisepaß vor, den er nach kurzer Prüfung zurückerhielt. Nach Ende des Gesprächs bat ich um Erklärung in deutscher Sprache. Mir wurde mitgeteilt, daß Herr Gourski nur eine Verlängerung („einen Stempel“) für 1 Monat in seinen Paß bekommen könne. Um ein dauerhaftes Papier zu bekommen, müsse er nach Kiew fahren. Herr Gourski sollte auf einem Blatt Papier schriftlich eine Verlängerung für 1 Monat beantragen, seinen Reisepaß abgeben und einen Betrag von 80,- DM auf einer bestimmten Bank einzahlen. Er könnte seinen Reisepaß noch heute zurückerhalten.
Als Grund für die Verlängerung um nur 1 Monat wurde die ukrainische Gesetzgebung genannt. Ohne festen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland wäre eine längere Gültigkeit nicht möglich. Die daraufhin vorgezeigte polizeiliche Meldebescheinigung – Herr Gourski hat schon seit längerer Zeit in München eine Wohnung gemietet – wurde als nicht ausreichend „nach ukrainischen Gesetzen“ bezeichnet. Eingehendere Beratung war nicht möglich. In der Schlange hinter uns warteten weitere ca. 40 Leute – die Schlange reichte bis ins Treppenhaus – und es gab nur die eine Kontaktmöglichkeit über das Telefon. Aus Unsicherheit über die rechtlichen Konsequenzen verließen wir das Konsulat ohne einen Antrag auf Verlängerung gestellt zu haben.
Herr Gourski sah seine Befürchtungen bestätigt. Da er seit 5 Jahren die politische Entwicklung in der Ukraine nicht von innen verfolgen kann, ist er auf sonstige Beobachtungen angewiesen. Daß man ihn offensichtlich in die Ukraine locken will – so sieht er die Lage – passt zu seinen Ängsten. Tatsächlich wurde auch auf dem Konsulat als Begründung für diese Forderung nur „das ukrainische Gesetz“ genannt. Nachvollziehbare Begründungen wurden nicht genannt. Aus der Verwendung eines Telefons zur Kommunikation auf dem Konsulat schließt Herr Gourski, daß sämtliche Gespräche aufgezeichnet werden.
Am darauffolgenden Tag erhielt Herr Gourski den Tip, es auf dem russischen Konsulat zu versuchen. Obwohl Herr Gourski sich mit seiner ukrainischen Heimat verbunden fühlt, benötigte er Papiere bereits so dringend, daß er auf dem russischen Konsulat vorsprach. Er erhielt ohne Probleme gegen Zahlung von 60,- DM eine Verlängerung der Gültigkeit seines sowjetischen Reisepasses um 2 Jahre, wobei die Konsequenzen aus dieser neuen Wendung noch unklar sind.
Offensichtlich herrscht auch bei deutschen Behörden und Vereinigungen, die sich für die Probleme von Ausländern interessieren, Unklarheit übe die Probleme und Möglichkeiten ukrainischer, ehemals sowjetischer Staatsbürger. Die erwartete Normalität im ukrainischen Konsulat konnte nicht festgestellt werden. Die Behandlung individueller Probleme ist mit den dort praktizierten Methoden unmöglich und offensichtlich auch nicht vorgesehen. Das Bestehen auf einer Heimreise alleine zum Zwecke der Verlängerung von Papieren kann man eigentlich nur als den Versuch verstehen, Herrn Gourski „dingfest“ zu machen. Ein demokratischer Staat, wie z.B. Österreich, verlängert Reisepässe problemlos auch im Ausland.
Wichtig ist in diesem Zusammenhang, daß der Reisepaß von Herrn Gourski zu dem Zeitpunkt, als die Ukraine selbständiger Staat wurde und auch zum Zeitpunkt seines Ablaufens in den Händen der deutschen Behörden war, „gut aufgehoben““, wie Herr Gourski dachte.
Daß Herr Gourski per Gerücht von den günstigeren Verhältnissen am russischen Konsulat erfährt und aus einer Notlage heraus Handlungen mit unklaren Folgen vornehmen muß (Ist er nun Russe oder Ukrainer? Kann er noch in seine Heimat zurück?), ist unwürdig. In einem Zustand der Rechtsunsicherheit dennoch von Behörden zum Handeln gezwungen zu werden, erzeugt eine Atmosphäre der Willkür und Unsicherheit, die man in einem demokratischen Staat eigentlich nicht erwartet.
Mit freundlichen Grüßen N.N.