Traum von einer Kunstgalerie in Kowel

Traum von einer Kunstgalerie in Kowel (oder Er träumte von….)

von Anatolj Semenjuk, übersetzt von Ludmilla Arnswald

veröffentlicht in der Tageszeitung Koveler Nachrichten am 1.Juli 2011

Wenn ich Erzählungen über Valeri Gourski höre, Fotos seiner Bilder und Plastiken  betrachte und in seinen Tagebüchern lese, kommt mir immer häufiger der Gedanke, warum so ein begabter junger Mann kein Recht auf Hochschulbildung in der gepriesenen Sowjetunion hatte? Warum seine Kunst auf Ablehnung stieß? Eine falsche Religion? Entsprachen seine nicht konforme Lebensauffassung und Parteilosigkeit nicht den gängigen kommunistischen Klischees?

Es verschlug Valeri nach Jakutien, dann nach Moskau und Kiew, aus der Ukraine nach Deutschland: 10 Jahre lebte er in Hessen.

In der unabhängigen Ukraine von heute sind wir scheinbar taub und stumm, da wir so wenig über die Kunst unseres in Deutschland so beliebten Landsmanns wissen. Wir haben den Anspruch, Europäer zu sein, machen jedoch keinen einzigen Schritt Richtung Europa.

Man muss immer wieder  an die einfache Lebensweisheit erinnern, dass Erinnerung das Fundament für unser Leben heute und der Weg in die Zukunft darstellt.

Es ist nicht lange her, dass nach Kowel ein Deutscher namens Horst Schäfer kam. Er kam nicht als Tourist und ohne „humanitäre Hilfe“, sondern, um auszuloten, ob man eine Ausstellung der Kunstwerke von Valeri Gourski in Kowel organisieren kann. Er kam aus freien Stücken, dem Ruf seines Herzens folgend, aus Respekt vor ihrer früheren Freundschaft. Deutsche schätzen die Kunst unseres Landsmannes sehr hoch, Valeri ist für sie „einer von ihnen“.

Horst Schäfer, ehemaliger Richter aus Wiesbaden, kümmerte sich um eine dortige Kunstgalerie. Er organisierte Ausstellungen von Valeri. Er ist ein aufgeweckter, dynamischer und temperamentvoller Gesprächspartner, begeisterter Kunstliebhaber.

Wie haben Sie Valeri’s Kunst entdeckt?“

„Ich habe über ihn in einer überregionalen süddeutschen Zeitung gelesen. Valeri war Mitglied der Kunstakademie in München. Der Leiter dieser Akademie stellte ein Zeugnis über das künstlerische Können von Valeri aus.“

Interessieren Sie sich schon lange für die Kunst?“

„Seit 1970. Etwa 1990 war es gelungen, mit Hilfe der Stadt Wiesbaden eine Kunstgalerie im Gerichtsgebäude zu gründen.“

Wie funktioniert diese Kunstgalerie?“

„Jedes Jahr finden sechs Ausstellungen von Künstlern aus Deutschland, Frankreich und anderen Ländern statt.“

Hatten Sie keine Zweifel in Bezug auf die mögliche Perzeption/Wahrnehmung der Kunst von Valeri durch deutsche Kunstliebhaber?“

„Kunst ist supranational. Sie hat allgemein eine humanistische, göttliche Mission; sie zwingt zum Nachdenken und Mitfühlen und zur Begeisterung.

Zur welchen Kunstrichtungen zählte die Arbeit von Valeri?“

„Er war vor allem ein Expressionist, obwohl zahlreiche Werke realistische und futuristische Züge aufweisen.“

Ist Modernismus zu komplex in seiner Wahrnehmung?“

„Expressionismus bedeutet die Entdeckung der inneren Welt eines Individuums, seiner Seele und Gefühle.“

„Das trifft auf Valeri zu: Er hatte ein erlebnisreiches Leben hinter sich.“

„Valeri. kam nach Deutschland ohne eine Aufenthaltserlaubnis zu haben. Sein Anwalt und ich haben versucht, die Staatsbeamten davon zu überzeugen, dass Valeri unter den zahlreichen Ausländern eine einmalige Erscheinung ist, dass er die deutsche Staatsangehörigkeit haben sollte, da Deutschland solche Künstler wie ihn braucht.“

Warum nehmen die Staatsmacht und  die deutsche Bevölkerung Ausländer ungern auf?“

„Das hat seinen Grund: Nach dem Zerfall der Sowjetunion kamen viele Ausländer in den Westen. Wir tragen Verantwortung für das Schicksal der hier ansässigen Ausländer. Wo soll man jedoch Arbeit und Obdach usw. für alle, die in dem Westen leben wollen, herholen?

Wurde Valeri eingebürgert?“

„Valeri bekam zwar keine deutsche Staatsbürgerschaft, bekam dafür aber einen Passersatz. Das hat es ihm ermöglicht, durch das Land zu reisen, zu malen und seine Bilder auszustellen und zu verkaufen.“

Haben Sie Ihren Freund finanziell unterstützt?“

„Valeri arbeitete sehr viel. Auf dem Münchner Marienplatz malte er auf Bestellung. Er hatte ausreichend Geld zum Leben.“

Wo fanden seine Ausstellungen statt?“

„In München, Frankfurt am Main, Wiesbaden und Barsinghausen. Valeri arbeitete sehr „produktiv“: Allein in München malte er etwa 1000 Bilder. Während der 11 Jahre unserer Freundschaft hat er etwa noch einmal so viel (möglicherweise auch mehr) Bilder geschaffen. Seine Holzskulpturen kann man in verschiedenen Regionen Deutschlands sehen.“

Könnten Sie sich an irgendein kurioses Ereignis aus seinem Künstlerleben erinnern?“

„Solche gab es mehr als genug! Einmal wurde er von der Polizei direkt auf einem Platz in München festgenommen, da er keine Ausweispapiere hatte. In der Haftzelle malte er folgendes Bild: ein Polizist setzt einen Stempel auf den Kopf des Malers. Diesem Bild gab Valeri den Titel „Abgestempelt“. In einer Wiesbadener Zeitung erschien ein Artikel unter dem Titel: „Künstler brauchen Freiheit“. Er kämpfte Zeit seines Lebens für Freiheit.

Wie war er, der Mensch V.aleri Gourski? Ein Leben ist in einem tabellarischen Lebenslauf nicht zu erfassen.

Er kam zur Welt in Kowel. Das Abitur machte er in der allgemein bildenden Schule Nr. 4 der Stadt Kowel. In der Berufsschule Nr. 5 erlernte er den Beruf eines Kunsttischlers. Eine Zeit lang ging er diesem Beruf nach. Später konnte man seiner nur schwer „habhaft werden“: Jakutien, Kiew, Moskau, Kowel, Deutschland. Sein Glaube an Jesus und die Zugehörigkeit zur Pfingstlergemeinde stellten ein unüberwindbares Hindernis zur Hochschulbildung.

Es war kein Zufall, dass Valeri Gourski Anfang der 90-er Jahre zu einem Aktivisten der Vereinigung „Proswita“ und der Gesellschaft für ukrainische Sprache in Kowel wurde. In Kiew rief er eine Künstlergruppe „Wer?“ ins Leben.

Im Laufe der Zeit entwickelte sich sein Talent als Maler. Seine Kunstwerke sind dem Futurismus und Expressionismus zuzuordnen, was zu Zeiten des „entwickelten Sozialismus“ kein Geld und keinen Ruhm einbrachte, sondern ausschließlich Kritik und Verfolgung zur Folge hatte.

Die Suche nach der philosophischen Freiheit ließ ihn seine Einstellung zur Religion revidieren. Diese sich verändernde Umwelt nahm er mit Besorgnis und Schmerz wahr. Seine Notizen im Tagebuch klingen als eine Beschwörung:

„Verschone den Wald von deiner Axt, der Wald lebt!

Beide – du und er – sind Lebewesen!

Zerstöre die Natur nicht – bewahre sie!

Liebe zum Geld ist ein Fluch.

Du solltest das Leben, Himmel und Blumen lieben!“

 

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Im Frühling seid ihr glücklich, ich aber traurig,

da mein Herz in weiter Ferne ist.

Ich lasse euch meine Traurigkeit nicht spüren,

meine neuen Freunde:

Ihr werdet das nicht verstehen und fühlen können, was ich empfinde–

Ihr seid daheim, und ich in der Fremde.

 

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Du machst dein Geld mit Blut und Tod

Du predigst den Superman mit einer Waffe in der Hand.

Halt!

Zutritt in die Welt der Liebe ist dir verboten,

in die Welt des Frühlings, der Blumen und der Kinder!

 

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Ich schreie auf, sodass die ganze Welt mich hören kann,

ich breche in Tränen auf,

Ich bin vor dem Abgrund-

Ein riesiges Gottesbild ist gefallen.

Der Weg ist übersät mit Rosendornen.

 

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Heilig ist Jesus, ein Eiferer und Prophet.

Poet Schewtschenko ist kein Künstler,

er ist ein Barde des traurigen Schicksals {unseres} Volkes.

 

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Du bist wieder in meinem Herzen

Ich verstecke meine Erinnerung an das Neue???

Du gibst mir Rätsel auf,

wie soll man in dieser brutalen Welt weiterleben?

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Wir sind im duftenden Garten

Du warst zärtlich zu mir, dem Heimatlosen, damals an jenem schamlosen Abend, dessen Einmaligkeit ich nicht vergessen kann. Wie glücklich waren wir damals!

 

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Liebster Freund,

vergiss nicht, dass die Ewigkeit naht…

und Terra Desiderata immer sichtbarer wird.

 

In diesen Aufzeichnungen hat sich alles verdichtet: Besorgnis und Trübsal, sein Herz und seine Seele, Freuden der Liebe und Fatalismus.

 

Welche Konfession haben Sie?“-, wurde Valeri einst gefragt.

-„Ich bin mit Gott! Im Jenseits bin ich nur ein kleiner Mensch.“

-„Wie gefällt Ihnen Kowel von heute?“

-„Es ist schön, demokratisch, obwohl es echte Veränderungen in der unabhängigen Ukraine kaum gibt.“

-„Wovon träumen Sie?“

-„Ich träume von einem Haus der Künste und einer Gemäldegalerie in Kowel. Ich möchte noch viele Bilder über Kowel malen und eine Ausstellung meiner Werke für die Einwohner Kowels organisieren.“

Das war sein letztes Interview vor der Reise in die Ewigkeit.

Ich schreibe diese Zeilen in der Hoffnung, dass die Stadt, Valeri’s Freunde, der Künstlerverband von Kowel und einfach Kunstliebhaber eine Ausstellung seiner Werke in Kowel organisieren werden.

Es hat unsere Landsleute in aller Herren Länder verschlagen…

Die Ehefrau des Künstlers und seine drei Kinder leben in den U.S.A. Seine Mutter lebte in Kowel und wünschte sich so sehr, noch einmal ihren Sohn sehen zu können. Sie ahnte, dass ihr nur wenig Zeit blieb.

Allen bürokratischen Hindernissen zum Trotz kam er nach Kowel. Es verschlug ihm den Atem, als er seinen Fuß auf den Boden seiner Heimat setzte: Turia und Kowel – alles war so vertraut – der blaue Himmel, Bäume in bunten Kleidern des Herbstes. Er atmete begierig die Luft seiner Heimat ein.

Seine Mutter wartete auf ihn: „Wo warst du so lange? Wie geht es dir?“ Die Zeit zu Hause verflog wie ein Augenblick…kurzes Glück!

Vor der Abreise nach Deutschland hatte er einen Albtraum: „Auf einmal fiel irgendwas Dunkles vor meine Füße. Ich bückte mich und erblickte etwas Schwarzes, das wie ein Hund aussah. Plötzlich schnappte es mich und trug mich davon. „Im Namen Jesu Christi hilf mir!“,- schrie ich“. Die schwarze Masse zog mich weiter in die Höhe. „Erbarme dich meiner!“,- seufzte ich.

Das war ein böses Omen. Unweit der polnischen Stadt Radom stieß sein Wohnmobil mit einem  LKW zusammen. Sein Körper lag da, entstellt, reglos…seine Seele irrte umher zwischen der Ukraine und Deutschland irgendwo im fremden Polen. Seine Mutter wartete, seine Freunde suchten nach ihm. Valeri war erst 52 Jahre alt.

Es ist irgendeine schicksalhafte Mystik im Laufe der Dinge. Valeri’s Freund Horst Schäfer wollte mit  nach Kowel fahren, es kam jedoch anders: als hätte ein unsichtbarer Dritter die Reisepläne im letzten Moment ändern lassen.

Zwei Jahre später an demselben Tag verließ auch die Mutter von Valeri diese Welt. Was bleibt uns, die am Leben sind, anderes zu tun, als an den Gott zu glauben, Buße tun und Gebete zu verrichten.

Valeri wollte zu seiner Frau und den Kindern in die U.S.A. gehen. Viele Pläne hatte er…

Was blieb? Seine Bilder. Ich betrachte aufmerksam ein Frauenporträt: ein ruhiger und kühner Blick,

die Mitte strahlt göttliche Liebe, Güte und Großzügigkeit aus. Wer weiß, vielleicht ist dies das Bild der himmlischen Terra Desiderata?

 

Valeri Gourski flog nicht als Vogel streng in die Richtung North by Northwest (Vom Norden in den Süden). Das war kein Flug, sondern Suche nach der Wahrheit und Künstlerfreiheit.

Er trug aus der ganzen Welt alte und moderne Sujets – Schlüssel zu dem Geheimnis des philosophischen Steins. Aber Geheimnis blieb Geheimnis. Diese Suche wird nun von seinen Schülern fortgesetzt. Valeri liebte abgöttlich  Kinder. Die Kinder, die er in Deutschland kannte und unterrichtete, bauten ein symbolisches Kreuz zusammen und stellten es vor der Werkstatt des Künstlers auf. Sowohl für Valeri als auch für uns ist dieses Werk am teuersten, am liebsten von allen. Das ist ein Symbol der Anerkennung und Erinnerung und Respekts…

 

Sportler haben einen schönen Brauch: Im Namen herausragender Sportler werden zu Ehren A.Zawora, E. Kondratowytsch, W. Schischuk und W. Linewytsch und anderer Wettkämpfe organisiert. Liebe Künstler, folgen Sie diesem Beispiel und organisiert plein air zu Ehren von Valeri. Ich verspreche es Ihnen, dass Heimatforscher des Gebietes Kowelskij sich melden und helfen werden im Rahmen ihrer Möglichkeiten.

 

Valeri Wolodymyrowytsch Gourski liebte die Ukraine, Wolyn und Kowel. Er hinterließ seine Spuren auf dieser sündigen Erde.

Wir sollten folgende Worte von Valeri nicht vergessen:

 

Es ist Zeit, Gebete zu verrichten, mein Freund,

denn vergiss nicht, dass die Ewigkeit naht…

und

Du solltest das Leben, den Himmel und die Blumen lieben!“