März 2003 Bericht des Auswärtigen Amtes über die Lage in der Ukraine

Auszüge aus dem Bericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Ukraine (Stand: März 2003):

I.Allgemeine politische Lage:

 …Die mit der außenpolitischen Westorientierung notwendigerweise einhergehenden innenpolitischen Reformen werden nur langsam vorankommen. Die Beharrungstendenzen im Verwaltungsapparat sind weiterhin erheblich. Es ist bisher nicht gelungen, das gesamte Staatsbudget der Kontrolle des Parlaments zu unterwerfen. Die Reform der Justiz ist zwar in den Grundzügen beschlossen, die Umsetzung steht aber noch am Anfang. Der Gesamtumfang der Polizeikräfte übersteigt das in westlichen Ländern übliche Maß weiterhin erheblich. Die Verankerung eines rechtsstaatlich-demokratischen Systems ist daher nach wie vor weit entfernt.

Viele staatliche Institutionen arbeiten seit der Unabhängigkeit der Ukraine ohne größere Personaländerungen weiter. Sie sind häufig personell überbesetzt, bürokratisch und wenig effizient. Korruption und Amtsmißbrauch sind auf allen Ebenen staatlichen Handelns verbreitet. Das Vertrauen der Bevölkerung in die Rechtsstaatlichkeit und die Unvoreingenommenheit der entscheidungsbefugten Amtsträger ist entsprechend gering…..

Die Unabhängigkeit der Gerichte wird von der Verfassung garantiert. In der Praxis respektiert die Exekutive die Gewaltenteilung häufig nicht und nimmt Einfluß auf gerichtliche Verfahren. Eine chronische Unterfinanzierung der Justiz fördert Bestechlichkeit der schlecht bezahlten Richter und führt dazu, daß Richterstellen insbesondere außerhalb größerer Städte für Absolventen juristischer Hochschulen unattraktiv sind. Ältere Richter haben Ausbildung und erste Berufspraxis noch in der Sowjetunion erfahren. Sie sind auf eine unabhängige Rechtsanwendung in einem rechtsstaatlichen System nicht hinreichend vorbereitet und treffen Entscheidungen im vertraulichen Zusammenwirken mit den örtlichen Machtstrukturen….. Die gemäß der ukrainischen Verfassung unmittelbar anwendbare Europäische Menschenrechtskonvention ist bislang nur vereinzelt von ukrainischen Gerichten als Maßstab für Grundrechtsverletzungen herangezogen worden……

Die Sicherheitsbehörden sind noch immer dem traditionellen Muster entsprechend organisiert. Wiederholt wurde in staatlichen Stellungnahmen betont, daß eine Änderung der aus der Sowjetzeit übernommenen Kompetenzverteilung, die sich insbesondere durch die führende Rolle der Generalstaatsanwaltschaft auszeichnet, als für die Ukraine nicht sinnvoll erachtet wurde. Die Miliz und der Sicherheitsdienst (SBU) unterliegen beide der Kontrolle durch die Generalstaatsanwaltschaft. Vielfach nehmen sie, ebenso wie staatlicher Zolldienst, Grenzschutz und Steuerinspektion, überlappende Kompetenzen im Bereich der Gefahrenabwehr wahr.

Die Verwirklichung der Grundrechte und Grundfreiheiten, des Programms der Reformen sowie die Durchdringung der Gesellschaft mit bürgerlichem Rechtsbewußtsein bleiben insgesamt deutlich hinter den Erwartungen zurück. Das sowjetische Erbe und eine schlechte wirtschaftlich-soziale Ausgangsposition lassen bis auf weiteres keine schnellen und umfassenden, sondern nur allmähliche Veränderungen und Verbesserungen zu. Daher sieht unter der Oberfläche eines umfassenden rechtlichen Schutzes der Menschenrechte die Wirklichkeit erheblich düsterer aus…..

II. Asylrelevante Tatsachen:

 …..Die Ukraine leidet unter Korruption auf allen Ebenen staatlicher Machtausübung sowie Verquickung geschäftlicher Interessen und politischer Macht…..

…..Wehrdienstverweigerung wird gemäß Artikel 72 des Strafgesetzbuches mit Freiheitsstrafe bis zu 3 Jahren bestraft. Fahnenflucht wird in Friedenszeiten mit Freiheitsstrafe von 2 bis 5 Jahren bestraft, in schweren Fällen beträgt die Mindeststrafe 5 Jahre. Der Straftatbestand knüpft an das Verlassen der ukrainischen Streitkräfte an…..

III.Menschenrechtslage:

 In allen menschenrechtsrelevanten Bereichen bestehen Mängel. Zum Teil – besonders in Polizeigewahrsam und in der Psychiatrie – wird von massiven Menschenrechtsverletzungen berichtet. Defizite bestehen insbesondere bei den Rechten der staatlichen Sonderverhältnissen unterworfenen Personen (Untersuchungs- und Strafgefangene, Militärangehörige und Insassen psychiatrischer Krankenhäuser) sowie den Justizgrundrechten. Gerichtsurteile und jegliche Form von staatlichen Bescheinigungen sind vielfach käuflich. Staatliche Bemühungen zur Verbesserung der Haftbedingungen sind vorhanden, zeigen aber nicht zuletzt aus finanziellen Gründen nur sehr langsam Erfolg. Die Zustände in manchen Haftanstalten sind deshalb noch immer bedrückend…..

In Polizeigewahrsam und in Untersuchungshaft werden Personen Mißhandlungen im Sinne der Antifolterkonvention ausgesetzt. Menschenrechtswidrige Verhörmethoden mit Schlägen und Tritten, überfordertes, unterbezahltes Personal, chronische Überbelegung, schlechte hygienische Verhältnisse und wenig nahrhaftes Essen führen in ihrer Gesamtheit nach Einschätzung der Menschenrechtsbeauftragten des Parlaments (Ombudsfrau) und von Menschenrechtsorganisationen mitunter zu Zuständen, die einer Folter gleichkommen. Menschenrechtsorganisationen berichteten mehrfach über Tötungsfälle in Polizeigewahrsam, offizielle Bestätigungen liegen nicht vor…..