Bin nicht aus der Ukraine geflohen

Interview aus den Koveler Nachrichten vom 16.November 2006:

 „Bin nicht aus der Ukraine geflohen …“

 Als Valeri Gourski 1990 die damalige Sowjetunion verlassen hatte, hatte er nicht davon träumen können, daß er einmal zurückkehren würde in eine andere, eine selbständige Ukraine, mit dem Status als Gast nach 16 Jahren…   Geflüchtet vor der kommunistischen Diktatur suchte der Maler und Dissident politischen Schutz im Westen. Aber das Herz des Ukrainers hat stets geschmerzt und von Kovel hat er auch stets geträumt…

Über das Leben des in Kovel geborenen Ausländers – ein Interview mit ihm.

      –   Valeri Vladimirovich, wir möchten mehr erfahren über Ihr Leben.

Ich bin in Kovel in einer Familie geboren, die der Kirche der Fünfziger angehört. Da mein Vater dort Pfarrer war, war er stets vom damaligen System verfolgt worden. Seit meiner Kindheit spürte ich Ungerechtigkeit und bildete daraus meine eigene Position. Für seine religiösen Tätigkeiten war mein Vater immer wieder von einer Gemeinde zur anderen versetzt worden. Wir mussten da mitziehen.

Seit meiner Kindheit male ich leidenschaftlich. Die Lehrer hatten mich gelobt. Nach der achten Klasse wechselte ich auf die Berufsschule und lernte das Holzschnitzen. Nach dem Ende der Berufsschulzeit hatte ich mehrmals versucht, die Aufnahmeprüfung für die Kunsthochschule zu machen. Das war naiv von mir, denn in meinem Zeugnis stand der Eintrag: „Gehört zur Sekte der 50er“. Ich glaubte aber an mein Talent, denn ich war ja schon bekannt geworden. In Jakutsk hatte ich schon eine Freizeitanlage gestaltet, in Kiew einen großen Kinderspielplatz. In Kiew hatte mir dann ein kompetenter Mensch die Augen geöffnet: „Dein Großvater hatte bei der Revolution nicht mitgemacht, dein Vater – kein Kriegsveteran, sitzt wegen religiöser Ansichten im Knast. Und du möchtest in eine elitäre Hochschule?“ Da hatte ich keine Perspektive mehr gesehen.

Schon seit meiner Kindheit waren meine Ansichten zum Atheismus sehr kritisch geprägt worden, da ich religiös erzogen worden war. Ich hatte die Stellung von Dissidenten eingenommen und in den 70er Jahren Konflikte mit allen gesucht. Damit ich mich weiterentwickelte, hatte ich angefangen, mich für andere Religionen zu interessieren, den Gott über philosophische Analyse zu suchen. Deshalb war ich von meiner Kirche ausgeschlossen worden. Mit Kunst das tägliche Brot zu verdienen, war sehr schwierig. Deshalb hatte ich Kinderspielplätze gestaltet. Aber parallel dazu hatte ich versucht auszustellen und mit fünf Leuten die Künstlergruppe „Wer?“ organisiert. Wir hatten die expressionistische Richtung gewählt und machten Ausstellungen.

–          Ich denke, als Expressionist, als Futurist hat man es nicht leicht?

Nun, das Ganze hatte in einer Zeit stattgefunden, als uns keiner verstehen wollte. Damit ich irgendwie an Geld kommen konnte, hatte ich in Unterführungen und an Straßen gemalt. Wir wurden nicht verstanden. Ich erinnere mich, als ich einmal in Kovel an einer Grünanlage neben der alten Apotheke mit Knet ein Blatt Papier befestigt und zu malen begonnen hatte, ein Portrait von einem Jungen. Menschen hatten sich um mich versammelt. Da war eine Parteimitarbeiterin eingetroffen, die mich gefragt hatte: „Was machst du da?“ – „Malen.“ Sie hatte nicht gewusst, was sie tun sollte. Damals haben sich die Menschen nicht einfach so versammeln dürfen.

Viel später erst, nachdem ich in der Welt herumgekommen war, habe ich verstanden, daß von dieser Form der Straßenkunst die Bürokratie Angst hatte. Solche Versammlungen können nämlich ganz schnell politisch werden, wie damals auf dem Platz der Revolution in Kiew. Dort hatten sich Maler versammelt, die Menschen machten Musik und sangen ukrainische Lieder. Dann war die Miliz gekommen und hatte begonnen, sie alle zu verjagen, weil sie damit nichts anzufangen wusste. Da mußte die Staatsmacht ihre Kraft zeigen.

–          Was haben Sie in Kovel gemacht?

Da ich den Ausbildungsnachweis über plastische Kenntnisse hatte, hatte ich als Meister in einer Berufsschule unterrichten dürfen. Ich hatte mich mit örtlichen Künstlern getroffen, die mich – als Mensch – leider nie verstanden hatten. Ich hatte in diese Diskussionen neue Informationen aus Moskau eingeführt, die nicht nur religiöse und 50er-Themen zum Inhalt hatten.

Ich mischte literarische und künstlerische Formen, schrieb Gedichte, malte in expressionistischem Stil. Das aber passte nicht zur gewöhnlichen Klassik und hatte auch unter den Gläubigen kein Vertrauen gefunden. Ein Maler hatte zu mir sogar gesagt: „Du bist als 50er besser als Maler.“

Die ganze Zeit über war ich aktives Mitglied in dem Kreis zur Erhaltung der ukrainischen Sprache namens „Taras Schewtschenko“, zusammen mit Anna Poljakowa, Maria Chotinskaja. Dort hatten interessante Diskussionen stattgefunden. Ich hatte daran mit philosophischen Anstößen teilgenommen. Wir hatten dazu Anhänger verschiedener Religionen eingeladen. Die meisten waren aus Kiew gekommen. Das hat selbstverständlich nicht allen gefallen ….

–          Damit sind wir bei einer anderen Periode Ihres Lebens angekommen …

Ich bin sehr oft gefragt worden, warum ich aus der Ukraine geflüchtet sei, ich habe gesagt: „Ich bin nicht aus der Ukraine geflüchtet sondern aus der Sowjetunion …“. Meine Familie war nach Amerika ausgereist, als 50er, und ich wollte ihnen aus dem Westen nachreisen. Ich hielt mich in Deutschland auf und verdiente mein Brot mit der Kunst, weil ich nicht deutsch sprechen konnte. Es war nicht einfach für Gourski, sich in Deutschland als Künstler zu beweisen. Aber jetzt besitze ich eine Bestätigung als freier Künstler. Ich portraitiere auf Straßen, male Landschaften, schnitze Holzfiguren, die danach in Parks aufgestellt werden: In Frankfurt am Main, München, Wiesbaden. Dort wird diese lebendige Vernissage besser aufgenommen. Viele kennen meine Arbeit, ich bin anerkannt, die Presse schreibt viel über meine Ausstellungen. Und überall erkläre ich, daß ich Ukrainer bin, und protestiere dagegen, als russischer Maler angesehen zu werden.

–          Haben Sie dort Kontakt mit Ukrainern?

Ja. In München habe ich einen Fahrer, Stephan Banderi kennengelernt, Slawa Stezko und andere. Aber nur die älteren Ukrainer, die früher ausgewandert waren, leben noch mit sentimentalen Erinnerungen, die heutige Jugend hat pragmatische Interessen gegenüber der Ukraine. Deshalb konnte ich – mit meinem willensstarken Charakter – mit dem ukrainischen Emigrationszentrum in Deutschland nicht harmonisieren. Meine Emotionen und Stimmungen spiegele ich in meinen Bildern und mit dem Schreiben von expressiven Gedichten auf ukrainisch ab. Die Deutschen kennen mich als kritischen Expressionisten. Ich habe für mich eine religiöse, künstlerische Philosophie entwickelt, wie ein Gebet. Und wenn ich zuviel unbedachte Kritik spüre, dann philosophiere ich, hebe meine Augen zu Gott und sage dabei: „Leute, Leute …“.

–          Woran glauben Sie jetzt?

Ich – an Gott. Ich lebe danach – ich bin ein kleiner Mensch. Ich lebe unter dem Dach Deutschland, bin staatenlos. Ich respektiere dieses Volk und sage immer wieder: Wenn die Ukrainer nur einen Teil der deutschen Ehrlichkeit, Pünktlichkeit, Disziplin hätten, das wäre viel besser als die Hollywoodkultur zu kopieren.

–          Valeri Vladimirovich, warum sind Sie nicht früher in die Ukraine zurückgekehrt?

Früher haben die mich einfach nicht reingelassen – aus verschiedenen Gründen. Und jetzt liegt meine Mutter todkrank zuhause und hat mich gebeten zu kommen, um mich noch einmal zu sehen. Im letzten September habe ich die Erlaubnis erhalten nach Kovel zu kommen. Deshalb freuen sich die Verwandten jetzt. Ich kann gar nicht beschreiben, wie froh ich bin, wieder über die Grenze gekommen zu sein ….

–          Und was haben Sie an Ihrem Geburtsort vorgefunden?

Es ist verändert, demokratischer, schöner. Aber ich dachte, daß es nach der „Orangenen Revolution“ mehr Veränderungen gebe. Ehrlich, ich habe viele neue Kirchen vorgefunden, reiche Gebäude. Und Straßen …..….Und als Künstler, der ein sehr fortgeschrittenes Gefühl für Schönheit hat, freue ich mich über die schönen ukrainischen Frauen. Nicht umsonst haben so viele Ukrainerinnen den Titel „Miss“ gewonnen.

Ich war zu Besuch in meiner alten Berufsschule und habe mit Schülern gesprochen. Dabei dachte ich, wie talentiert die heutige Jugend ist. Ich habe mich auch mit bekannten Künstlern getroffen und möchte ihre Idee unterstützen, in der Altstadt in jedem Falle ein Haus der Kultur und der Kunst einzurichten. Dort sollen Menschen musizieren und Ausstellungen organisieren können. Kovel soll auf jeden Fall so ein Kunstzentrum bekommen. Im Internet findet man so wenig Informationen über Kovel. Ich verfolge das.

–          Und zum Schluß, welche Pläne haben Sie?

Ich war bis heute „konserviert“. Aber jetzt werde ich eine Staatsangehörigkeit bekommen und werde meine drei Kinder und die sieben Enkelkinder in Amerika besuchen. Mein Sohn – der ist auch Maler. Mit meinen Freunden werde ich besprechen, womit wir der Ukraine helfen können. Ich werde in jedem Falle noch Kovel malen und in Deutschland eine Ausstellung über meine Heimat organisieren …..

Ludmila Stasjuk